Schulhefte

Schulhefte

Schulhefte 1863 2433 Sölring Museen Sylt
Schulheft aus der kleinsten Schule Deutschlands
August 2018

Kinder im Leuchtturm

„Leider“ sind gerade Sommerferien und so können am morgigen Mittwoch, 8. August die Sylter Schulkinder die einfache Rechenaufgabe „Wieviel macht 2018 weniger 1907?“ im Matheunterricht nicht lösen. Wahrlich keine schwere Rechenaufgabe, aber das Ergebnis ist historisch und eine Schnapszahl zugleich: Am 8.8.18 wird der Hörnumer Leuchtturm nämlich 111 Jahre alt. Seit 1907 steht der Leuchtturm auf der Südspitze der Insel und schickt nach Sonnenuntergang seine langen leuchtenden Strahlen über das Meer. Das Museumsobjekt des Monats August ist ein Konvolut von Schulheften, die in diesem Leuchtturm benutzt wurden. Denn, neben dem Maschinenraum und einem Elektrizitätswerk befand sich im Innern des Turmes auch ein kleines Klassenzimmer – die kleinste Schule Deutschlands. Um 1928 besuchen die Schule drei Kinder.

Einer der Kinder ist der achtjährige Walter Merten. 1920 erblickte Walter in Cuxhaven das Licht der Welt. Mit seinen Eltern siedelte er kurz darauf Hörnum. Das zu dieser Zeit noch äußerst übersichtliche Hörnum bot den Mertens Wohnraum und Arbeitsplatz zugleich. Der Gastwirt Harald Merten unterzeichnete am 6. August 1921 einen Vertrag mit der „Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft“ (HAPAG) die den Seebäderdienst Hamburg-Amerika bzw. nach Hörnum betrieb. Die HAPAG war gleichzeitig auch Verpächterin des Gästehauses in Hörnum, was Gegenstand des Vertrages war und mit dem Leuchtturm das erste Bauwerk Hörnums ist. Diese Herberge bewirtschaftete die Familie Merten in den folgenden Jahrzehnten.

Walter war das eine schulpflichtige Kind, die gleichaltrige Tochter des Leuchtturmwärters, Gretel Hansen, das zweite Kind der Hörnumer Klasse. Der dritte Schüler mit Hans Hindenburg verließ zu Ostern 1930 die Schule, um in einem Hamburger Hotel seine Kochlehre zu beginnen.
Den Ausblick, den Walter und seine Mitschülerin aus den winzigen runden Fensterchen des Leuchtturmklassenzimmers genießen durften war beneidenswert – wobei die bis 2011 betriebene Hörnumer Schule auch später einen exponierten Platz einnahm und der Blick für die vielen Schüler nicht schlechter war.

Walter berichtet 1930 in seinem „Schreibschrift=Heft“ in einem Aufsatz über den Dampfer Odin. Dieser erreichte Hörnum am Nachmittag und die zwei Kinder „haben ihn schon aus der Schule gesehen. Er hatte eine Schute in Schlepptau genommen, mit Busch und Pfählen.“ Das Anlegen des Dampfers beobachtet Walter dann von der Brücke und verfasst mit „Wir gucken beim Anlegen der Schute zu“ einen zweiten kleinen Aufsatz über dieses Ereignis. Dieser Aufsatz wurde vom Lehrer penibel auf die Formbildung der einzelnen Buchstaben sowie Einhaltung der Zeilenräume korrigiert. Das Ereignis muss zu dieser Zeit schon besonders gewesen sein. Es folgt am 29.1.30 das Diktat „Ein Dampfer in Sylt“. „Es ist lange her, daß ein Dampfer bei uns an der Brücke war. Gestern mittag kam Dampfer Odin. Er hatte eine Schute in Schlepptau. Langsam kam er an unsere Brücke …“ Walter machte in dem Diktat einen kleinen Fehler – er vergaß das „s“ bei Bootsmann, was ihm ein „gut“ als Note bescherte. In der Schule wurde sowohl in der Sütterlinschrift als auch in der lateinischen Schreibschrift geschrieben. Die Inhalte aus Rechenkladden, Naturkunde- und Diktatheft lassen erahnen, welche Lehrinhalte und Geschichten den Kindern vermittelt wurden. Es drehte sich oft um inselverwandte Themen, die unter anderem den Prozess der Dünenbepflanzung oder den Besuch „mit der Mutter in der Stadt“ und den damit verbundenen Erlebnissen in Westerland beschrieben. Walters Zeugnisse waren stets mit sehr gut und gut in allen Bereichen gezeichnet.

Am 15.12.1930 druckten zahlreiche Zeitungen im norddeutschen Raum „Ein Weihnachtsbrief aus der kleinsten Schule“ ab.

Die zwei Schüler beschrieben darin kurz ihr „Schulhaus“ und Klassenzimmer und sendeten die Frage: „Wird es bei Euch auch Weihnachten in der Schule?“ ins Land. Weit über zwanzig Zuschriften von Schülern u.a. aus Neumünster, Itzehoe, Blankenmoor bis hin nach Königs Wusterhausen, einem Ort südlich von Berlin erreichten die zwei Leuchtturmschüler.

Die Initiative erfolgte durch das Hilfswerk der Volksschulen für Nordschleswig, die damit für die deutsche Kulturarbeit Spenden sammelten. Hörnum konnte 9,50 Mark einwerben. Gleichzeitig verfasste der Lehrer einen weiteren Brief, den das Hilfswerk und die Sylter Zeitung veröffentlichten. In diesem beschrieb er ausführlich die Schule und die Besonderheit des Inselortes. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hörnum bereits acht Häuser. Den Bahnhof, das HAPAG-Haus mit zwei Blockhäusern und neben dem Leuchtturmwärterhaus, das sich die zwei Leuchtturmwärterfamilien teilten, drei weitere Privathäuser. Diese wurden durch den Kurhausverwalter, einen Zollbeamten, einen Brückenwärter und den Lehrer bewohnt.

Walter besuchte bis zu seinem 12. Lebensjahr die Schule und wechselte dann nach Hamburg, um dort 1936 die Erste Klasse der Volksschule zu beenden und eine Lehre als Schmiedemeister zu beginnen. Die Leuchtturmschule wurde 1933 nach 15 Jahren geschlossen, woraufhin die Kinder den sehr beschwerlichen Weg zur Rantumer Schule auf sich nehmen mussten, bis später wieder eine Schule in Hörnum mit 14 Kindern gegründet wurde. Der Leuchtturm diente von da an nur noch als rein technisches Objekt der Seefahrt.

Datierung: um 1930
Material: Papier
Maße: 21×16,3 cm (lxb)
Technik: gebunden
Hersteller: unbekannt
Standort: Sölring Museen/Sylt Museum, Depot

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